Technik und Innovation

Gebäudetechnik/ Doppelschalige Fassade und Heizkühldecken kombiniert

Wärmeglocke heizt „Stadttor“ auf

Das „Stadttor“, eines der neuen
Düsseldorfer Wahrzeichen, wird ab Ende dieses Jahres mit
rund 20 Stockwerken über dem Tunnelmund des Rheintunnels
in den Himmel ragen. Die Architektur des Bürohochhauses
mit Atrium zwischen den Zwilligstürmen setzt
städtebauliche Akzente, die Haustechnik ökologische.

Der parallelogrammförmige Grundriß des Gebäudes hat
66×50 m Kantenlänge. Das Atrium mißt 50×11 m. Hinter
der Gebäudephysik verbirgt sich eine mysteriöse
Technik. Das Team um Architekt Karl-Heinz Petzinka,
Düsseldorf, sowie der JMP Ingenieurgesellschaft,
Stuttgart, als Mitverantwortliche für die Haustechnik,
orientierte sich bei der Planung an den vorhandenen
Ressourcen: der Sonne über den gesamten Tagesgang sowie
einem hohen Grundwasserspiegel wegen der Nähe des
Rheins.

Die Baumeister umkleideten die Büroräume mit einer
doppelten Haut, stülpten sozusagen dem Bauwerk eine
Wärmeglocke über. Die läßt sich am besten mit
Wintergartenfassade beschreiben: In einem Abstand von
1,40 m zur äußeren Verglasung zogen sie eine zweite
Wand – überwiegend aus Glas – mit
holzgerahmten Schwingtüren.

Balkon- und Dämmfunktion

Dieser Zwischenraum mit seiner isolierten Luftschicht
hat gleichsam Balkon- als auch Dämmfunktion. Umlaufende
Lüftungsschächte mit regelbaren Ein- und Auslässen
erlauben über weite Teile des Jahres eine natürliche
Be- und Entlüftung aller Geschosse. Ausgelegt ist diese
Raumluft-Konditionierung für Außentemperaturen von etwa
+5° C bis gut +20° C. Zusätzlich übertrugen die
Bauphysiker den Fassaden-Öffnungen eine Art
Sicherheitsfunktion in Form eines negativen
Überdruckventils: Bei Windspitzen öffnen die Klappen,
um eine bestimmte Druckkomponente auf die
Holzfensterinnenfassade zu verlagern. Damit verteilt sich
der Winddruck auf die beiden Hautschichten des
Stadttores.

Unterhalb und oberhalb des erwähnten Klimabereiches
hat das Wintergarten-System seine Funktionsgrenze.
Deshalb integrierte JMP noch eine mechanische Be- und
Entlüftung. Sie ist eine Kombination aus
Sorptionsspeicher und adiabatischer Kühlung.

Seit einigen Jahrzehnten experimentieren Lüftungs-
und Klimatechnik mit Sorptions-speichern. Ein rotierendes
Speicherrad verschließt mit seiner Seitenfläche die
beiden Querschnitte eines nebeneinander angeordneten Zu-
und Abluftkanals. Die zuströmende Außenluft gibt an das
Absorptionsmaterial – meist irgendwelche
hygroskopisch reagierende Kristalle – im
Kühlbetrieb im Sommer ihre Feuchtigkeit ab und trocknet
dabei auch vor. Einige Minuten später dreht sich dieses
Segment vor den Auslaß, und die Abluft nimmt die
eingelagerte Feuchtigkeit auf. So entlädt sich das
Aggregat wieder.

Die adiabatische Kühlung entstammt der
Industriekühlung. Auch hier kreuzen sich in einem
Wärmetauscher ein Zu- und ein Abluftstrom. Nur bewegt
sich zwischen beiden kein Sorptionskörper, vielmehr
sprüht man in die Abluft Feuchtigkeit ein. Die
verdunstet und holt sich dabei die notwendige
Verdampfungswärme zum Teil aus der Zuluft. Die
Kombination von Sorptionstechnik und adiabatischer
Kühlung in einer einzigen Zuluftstrecke gilt als Novum
in der Komfortklimatisierung. Wegen des Trocknungs- und
des Befeuchtungsprozesses, kann hier tatsächlich auch
von Klimatisierung gesprochen werden, die ganz ohne FCKW
auskommt.

Die Installation im Stadttor zeichnet sich noch durch
eine weitere Komponente aus: Wenn die Abluft den
Sorptionskörper nicht ausreichend entfeuchtet, strömt
zusätzlich warme Luft ein, die sich in einem
Fernwärmetauscher temperiert hatte und so die Fortluft
darin unterstützt, das Kondensat in die Atmosphäre zu
transportieren, das Heißt, den Rotor zu entladen.

Klimatisierung ohne FCKW

Die Technik gestattet Zulufttemperaturen zwischen 18
und 16° C bei 32° C Außentemperatur ohne Einsatz einer
Kältemaschine oder dergleichen. Das gesamte Gebäude
heizt und kühlt also FCKW-frei. Es hängt lediglich am
Fernwärmenetz der Stadtwerke Düsseldorf – und am
Grundwasser. Beide Medien, Fernwärme im Winter und
Grundwasser im Sommer, durchströmen ein und dasselbe
Heizkühldeckenelement in den einzelnen Büroräumen.

Insgesamt 8 000 m² bifunktionaler Tauscherflächen
sorgen im Stadttor für den Temperaturausgleich. Noch
einmal zusätzliche 5 500 m² arbeiten als reine
Kühldecken. Die befürchtete Taupunktunterschreitung hat
man heute im Griff. Sie setzt eine punktgenaue
Vorlauftemperaturregelung in Abhängigkeit von
verschiedenen Parametern – wie natürlich der
Außenluftverhältnisse – voraus.

Das Grundwasser strömt jedoch nicht direkt durch die
Decke. Selbstverständlich ist hier ein
Plattenwärmetauscher zwischengeschaltet und damit ein
Sekundärkreis gezogen. Die Brunnen liegen in 30 m Tiefe
und sollen pro Jahr etwa 600 000 m³ Wasser spenden. Da
die Untere Wasserbehörde aber keine ganzjährige
Vorhersage für die Wassertemperaturen abgeben mochte,
genehmigte sie mit 900 000 m³ eine bestimmte
Reserve-Entnahme.

Auch die Heizdeckentechnik darf zumindest zum Teil als
Novum angesehen werden. Die Niedrigenergiebauweise bringt
sie wieder ins Gespräch. Vor einigen Jahrzehnten waren
ja bereits Deckenstrahlungsheizungen in Mode, nur hielten
sie in vielen Fällen nicht, was die Verfechter
versprachen. Es kam häufig zu Klagen über zu hohe
Temperaturen im Kopfbereich. Deshalb fuhr JMP extra in
einem Forschungsinstitut Versuche, um festzustellen, ob
die Behaglichkeit im Rahmen der DIN-Strahlungsasymetrie
gewährleistet ist. Die Ergebnisse sprechen für die
gewählte Ausführung. Mit Heizdeckenvorlauftemperaturen
von um 35° C bei niedrigsten Außentemperaturen bewegt
sich der Komfort innerhalb der genormten Werte.

Der Architekt ließ die Grundrißnutzung offen.
Einzelbüros, Flure, Großraumbüros, Innenzonen mit
Besprechungsräumen, Kopierräume, Sozialräume,
Kombibüros mit rund 4 m Tiefe an der Fassade und dann
offenen Zone in der Mitte. Alles ist regelungstechnisch
so ausgelegt, daß von der Großraumnutzung bis zum
kleinsten Kämmerchen jedem individuellen Wunsch variabel
Rechnung getragen werden kann.

Erschienen in: Handelsblatt von 10.04.1997 / Nr. 70
Von: Bernd Genath