Gestern begann für Wolfgang Clement und die Staatskanzlei der Umzug in das Düsseldorfer „Stadttor“

Auch die Ahnen haben hinter Glas noch Platz

DÜSSELDORF. Der Chef fackelt nicht lange. „Leute, steht nicht
`rum, holt mal mehr Stühle heran!“ fordert Wolfgang Clement.
Dann rückt er zu einem gläsernen Tischchen vor, läßt
sich von seiner „Vorzimmerdame“ Waltraud Overbeck Kaffee bringen
und nimmt von dem drei Etagen über ihm residierenden Geschäftsführer
einer weltweit tätigen Beratungsfirma ein „Herzlich Willkommen!“,
einen üppigen Blumenstrauß und die Versicherung „Sie haben
eine gute Wahl getroffen“ entgegen. Zuvor hat Nordrhein-Westfalens
forsch durch die noch kahlen Flure schreitender Ministerpräsident
dem französischen Botschafter Francois Scheer bei dessen Abschiedsbesuch
den ihm zu Füßen liegenden Landtag gezeigt und den Fotografen,
auf deren Bitte hin, einen mit Briefpapier gefüllten Umzugskarton
vor die Kamera gehalten. „In Wahrheit“, gesteht der für
die anschließende Verleihung des Staatsehrenpreises in feines Tuch
gekleidete Politiker, „habe ich noch nie so eine Kiste angefaßt“.

Tapetenwechsel der Regierungs-Schaltstelle im bevölkerungsreichsten
Bundesland. Schon bei seiner Amtsübernahme am 27. Mai vorigen Jahres
hatte Rau-Nachfolger Clement entschieden, er werde mit seinem Team den
angestaubten Amtssitz am Rheinufer verlassen und in das futuristische
Stahl-Glas-Hochhaus „Stadttor“ wechseln. In diese neue, über
sieben Stockwerke verteilte Staatskanzlei wurden in den vergangenen Wochen
2,4 Kilometer Trennwände eingebaut, Regale für 3,2 Kilometer
Akten installiert, 95 Kilometer Elektrokabel und 412 Kilometer Glasfasern
verlegt. Gestern rückten die Spediteure an. Noch bis Sonntag abend
werden sie – Nachtschichten eingeschlossen -die Dienstunterlagen von 305
Mitarbeitern in 220 frisch möblierte Büro- und Sitzungsräume
transportieren.

Besuch im „Büro des Ministerpräsidenten“: Gläserne
Aufzüge gleiten im Atrium bis zur zehnten Etage empor. Radaraugen
überwachen die Sicherheitszone. Möbelpacker rollen Wägelchen
mit Ordnern („Formulare, Dienstreisen, Reisekosten“) in noch
spärlich ausgestattete Zimmer. Der Informationsaustausch zwischen
dem in Sichtweite gelegenen alten Standort und der neuen Adresse erfolgt
mittels Handy. Die Telefone sind noch nicht angeschlossen, auch die Computer
fehlen noch. Rüdiger Frohn, Chef der Staatskanzlei, wartet auf den
alten, lederüberzogenen Ministerpräsidenten-Schreibtisch, den
er übernommen hat. Michael Krüger-Charlé, Büroleiter
zwischen vollen Kartons und leeren Schränken, bestellt für den
Nachmittag „ein paar Pullen Sekt und Saft“. „Der Hubert“,
ruft jemand scherzhaft, „hat `nen neuen Stuhl, das ist ja wohl `ne
Sauerei.“ Bedienstete schleppen sieben schwarze Attaché-Koffer
mit Dokumenten für den Chef heran, es folgt eine Radierung mit den
Porträts der fünf Clement-Töchter.

Der Landesvater macht am schwungvoll gestylten Arbeitsplatz eine Sitzprobe.
Neben ihm auf der hellen Buchenholzplatte liegt die rote Unterschriftenmappe
für den „MP“. „Absolute Transparenz“ verspricht
Clement im Glashaus. Die zeigt sich vorerst von innen nach außen:
Phantastische Sicht rechts herüber zu den Ministerien, nach links
zur Hafen-Medienmeile mit den schrägen Gehry-Bauten, geradeaus auf
die tuckernden Rheinfrachter.

Rund 14,7 Millionen Mark kostet die Verlagerung der Staatskanzlei, 2,6
Millionen Mark davon der Umzug einschließlich des Mobiliars. Sieben
Millionen Mark Jahresmiete zahlt das Land für die 12.350 Quadratmeter
Bürofläche und für 155 Parkplätze. Der Aufwand rechne
sich, teilt das Landespresseamt mit. Denn wenn das Arbeits- und Sozialministerium
im nächsten Jahr aus gemieteten Gebäuden in die leere Staatskanzlei
umgezogen ist, würden jährlich 9,5 Millionen Mark Pacht gespart.

Am Montag werden im „Stadttor“ die Schreibtische übernommen.
Alles neu im Glas-Gigant? Nicht ganz. Die Galerie mit seinen Vorgängern
in Öl werde auch einen Platz finden, sagt der Hausherr und beteuert:
„Die Ahnen gehen nicht verloren.“

Erschienen in: Rheinische Post, Samstag, 27. März 1999
Von: Carlheinz Tüllmann