Der im Glashaus sitzt Clement zog ins Düsseldorfer Stadttor

DÜSSELDORF, 29. März. Wo bitte geht`s zum Ministerpräsidenten?

Der Hinweis findet sich – bislang zumindest – auf keinem dieser Schilder,
und für die direkte Zufahrt bedarf es bester Ortskenntnisse. Der
erste Mann im Lande Nordrhein-Westfalen aber hat den Besucher vielleicht
schon von seinem Schreibtisch aus ins Visier genommen, wenn er im zehnten
Stock des Düsseldorfer Stadttores steht. Am vergangenen Wochenende
ist die Staatskanzlei hier mit etwa dreihundertfünfzig Mitarbeitern
eingezogen, nachdem in den vergangenen Monaten 2,4 Kilometer Trennwände
eingebaut, Regale für 3,2 Kilometer Akten aufgestellt, 95 Kilometer
Elektrokabel und 412 Kilometer Glasfasern verlegt worden waren. Das Horion-Haus
am Rhein, eine 1910/11 erbaute Villa, die von 1922 bis 1933 dem Landeshauptmann
der Rheinprovinz als Wohnung und seit 1959 den Ministerpräsidenten
des Landes als Amtssitz diente, wurde mit sieben Stockwerken in dem knapp
fünfhundert Meter entfernten Hochhaus vertauscht.

Dieser Umzug, von Wolfgang Clement einen Tag nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten
bekanntgegeben, ist von hohem Symbolwert: Von dem angeblich modernsten
Haus des Landes aus sollen dessen Geschicke künftig gelenkt werden,
transparent, ökologisch, zukunftsweisend – wie dieses auch die Eigenschaften
der Politik sein sollen. Mit dem etablierten Mief der SPD, der auch Johannes
Rau noch umfing, will sein Nachfolger, so die Botschaft, nichts mehr zu
tun haben. Der Ministerpräsident wird hier, seinem Image als Modernisierer
entsprechend, wie der Manager eines Großunternehmens, in der Nachbarschaft
von Personalberatern und Rechtsanwaltskanzleien, Telekommunikations- und
Logistikunternehmen, residieren: Das Stadttor steht für Clements
Verständnis für Innovation, und sein Schreibtisch hat, in die
Spitze des „Schiffsbugs“ gestellt, etwas von einer Kommandobrücke.

Das 81 Meter hohe Gebäude mit der Form eines Rhomboids, dessen Seiten
66 mal 49 Meter messen, ist über dem südlichen Mund des Tunnels
plaziert, der die Rheinuferstraße vor vier Jahren unter die Erde
verschwinden ließ: Wie eine kleine Kopie der Grande Arche de La
Défense nimmt sich der von den Düsseldorfer Architekten Petzinka,
Pink und Partner entworfene Bau aus und wagt, auch wenn er in dessen Hohlraum
Platz fände, die triumphale Geste. Allerdings handelt es sich, auch
wenn es so heißt, nicht um ein „Stadttor“, da es keinen
Durchgang, „nur“ einen Durchblick bietet. Die beiden Bürotürme,
die windschnittig auf den äußeren Tunneleinfahrtspunkten gründen,
werden zwar mit einem dreigeschossigen Attika-Riegel zum Portal verbunden,
doch der 56 Meter hohe Zwischenraum ist nicht offen, sondern verglast
und mithin das höchste Atrium in Europa. Die Statik des Trageskeletts,
das frei im Raum seht, ist kühn, und das Energiekonzept, das eine
doppelschalige Glasfassade zur natürlichen Belüftung nutzt,
ermöglicht eine sparsame Heiz- und Klimatechnik. Doch bei aller formaler
Präsenz und auch lichtspielerischer Eleganz, die von ihm ausgehen,
begeht das Haus als Entree zur City einen groben Maßstabbruch: Ohne
Rücksicht auf die Umgebung und Anbindung an die Infrastruktur steht
der klotzige Solitär im Stadtraum.

Wer im Glashaus sitzt … die Fernsicht ist, sofern das Wetter mitspielt,
grandios und kann vom Kölner Dom bis zum Stahlwerk von Duisburg-Huckingen
reichen. An Überblick dürfte es dem Ministerpräsidenten
künftig nicht mangeln, aber ob er sich hier auch den in den letzten
Monaten manchmal vermißten Durchblick verschaffen kann, bleibt abzuwarten.
Das Abheben jedenfalls könnte, Morgen für Morgen habituell exerziert,
zur Gewohnheit und mithin zur Gefahr werden, und auch um einen anderen
Aspekt der Symbolik ist es heikel bestellt: Der Landtag liegt dem Ministerpräsidenten,
geradeso übrigens wie das Landesstudio des WDR und die „Meile
der Kreativen“ am Hafen, fortan zu Füßen.

Erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. März 1999

Von: Andreas Rossmann