Clement regiert in 80 Meter Höhe

Ministerpräsident verlegt Staatskanzlei aus dem „Pförtnerhäuschen“
in das gläserne „Stadttor

Düsseldorf. Der frischgekürte nordrhein-westfälische Ministerpräsident
Wolfgang Clement (SPD) zieht mit seiner Staatskanzlei in Europas modernstes
Hochhaus. Die neue Adresse der Düsseldorfer Regierungszentrale wird
ab Beginn des kommenden Jahres das preisgekrönte gläserne „Stadttor“
in Düsseldorf sein.

Wolfgang Clement fordert die Journalisten in der Landeshauptstadt direkt
an seinem ersten vollen Amtstag. Gleich für 9 Uhr 15 hat er sie einladen
lassen, und diese Einladung kam erst am späten Abend des Vortages.
Seine neuen Sprachrohre aus der Staatskanzlei machten es geheimnisvoll.
„Ja, der neue Ministerpräsident möchte Sie morgen früh
gerne sehen“, wurde mitgeteilt und vieldeutig hinzugefügt, „es
wird sich lohnen“.

Auch der Treffpunkt machte neugierig: Im neuen Düsseldorfer Stadttor
wollte Clement den Journalisten begegnen, also in jenem neuen Glaspalast,
der die Skyline der Landeshauptstadt seit kurzem mit seinen 80 Metern
Höhe dominiert. Der konsequent aus Glas und Stahl errichtete Baukörper
liegt unmittelbar in der Nähe des Landtages, die Architekten haben
bei der Grundform mit der breiten Öffnung in der Mitte Anleihen bei
der Pariser Arche genommen und sind für ihren Mut bei der Gestaltung
international ausgezeichnet worden.

Auf die Journalisten wartet ein gut gelaunter Wolfgang Clement. Nur wenige
wissen, was er ihnen gleich verkünden wird. Nein, es wird nicht darum
gehen, daß er die Grundzüge seiner künftigen Politik vorstellt,
wie manch einer erwartet haben mag. Er hatte in den vergangenen Tagen
viel davon geredet, daß dieses Bundesland auf allen Feldern wieder
die Nummer eins in Deutschland, ja sogar in Europa werden solle. Doch
Clement verkündet an diesem Tag keine abstrakten Botschaften.

„Wir werden mit der gesamten Staatskanzlei zu Beginn des kommenden
Jahres hier einziehen“, rief Clement aus, nachdem die Fernsehkameras
liefen, „ich freue mich darauf, und die vielen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Staatskanzlei können sich ebenfalls freuen.“

Die wußten zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht, daß der
neue Mann ihnen Anlaß zur Freude geben würde. Bisher hatte
er sich nur einmal kurz sehen lassen. Am Nachmittag nach seiner Wahl hatte
er die Personalversammlung besucht und nicht furchtbar viel gesagt, mal
abgesehen davon, daß ihn die meisten noch aus seiner Zeit als Chef
eben dieser Staatskanzlei kennen – und fürchten. Da steht Wolfgang
Clement nun und erläutert, daß er mit diesem Umzug viele Probleme
gleichzeitig löst. Die Unterbringung der verschiedenen Ministerien
in der Landeshauptstadt war in der Vergangenheit immer wieder Anlaß
für Querelen mit der Stadt, es herrscht ein fast schon chronischer
Raummangel in etlichen Häusern. Mit diesem Coup schafft Clement nun
Platz, am Ende wird die Landesregierung ein begehrtes Immobilienobjekt
verkaufen können.

Auch Finanzminister Schleußer zieht um

Ob es die alte Staatskanzlei sein wird, die Johannes Rau selbst als
das „Pförtnerhäuschen von Mannesmann“ verspottet hatte,
ist fraglich. Geplant ist vielmehr, daß Finanzminister Heinz Schleußer
sein – etwas au&sz;erhalb des Regierungsviertels gelegenes Gebäude
– verkaufen und anschließend in die jetzige Staatskanzlei umziehen
wird.

Wolfgang Clement wird vorher in der siebten Etage dieses Neubaues Platz
nehmen, in einem Eckbüro mit Blick auf den Landtag und den Rhein.
Er wird in einem gläsernen Büro residieren, da wird er keine
Ausnahme für sich beanspruchen. Im gleichen Haus arbeiten noch zwei
international bekannte Unternehmensberater, mit ihnen will er sich die
Konferenzetage und den Kabinettssaal in 80 Meter Höhe teilen. „Wir
müssen Neues denken“, ist seine Botschaft auch an diesem Punkt.
Und dann fügt er hinzu und lächelt sein schönstes Lächeln:
„Außerdem ist dieses Haus so ökologisch wie kein zweites:
Wir brauchen dank der innovativen Klimatechnik kaum die Heizung und keine
Klimaanlage.“

Später werden die Bauherren, die sich ob ihres prominenten Mieters
freuen, noch ergänzen, daß diese Bauweise den Energieeinsatz
im Vergleich zu herkömmlichen Hochhäusern um 70 Prozent reduziert.
Da die Konjunktur für Büroimmobilien zur Zeit nicht besonders
gut ist, wird Clement das ganze relativ günstig mieten können,
so günstig, daß sich kein Neubau lohnt. „Hier haben Unternehmen
aus unserem Land Spitzenleistung erbracht“, freute er sich, „das
ist Nordrhein-Westfalen als Nummer eins.“ Und genau deshalb zieht
er, die neue Nummer eins, hier ein.

Erschienen in: General-Anzeiger für Bonn und Umgegend,

29. Mai 1998
Von: Jürgen Zurheide