Clement lenkt von der „Kommandobrücke“

Nordrhein-Westfalens Staatskanzlei zieht 1999 in modernes Hochhaus –
Spekulationen um Minister

Düsseldorf. – Hoch über dem Düsseldorfer Landtag und der
20 Jahre lang von Johannes Rau geprägten Staatskanzlei hat der neue
NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement seine Amtszeit mit einem Paukenschlag
eröffnet. Auf seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl zum Regierungschef
gab er gestern bekannt, daß das 80 Meter hohe Düsseldorfer
„Stadttor“, das modernste Hochhaus Europas, Anfang 1999 Sitz
seiner Regierungszentrale werden soll. Auf der „Kommandobrücke“
der spektakulär transparenten Glas-Stahl-Konstruktion, die kürzlich
auf der Immobilienmesse in Cannes preisgekrönt wurde, sagte Clement,
der Umzug der rund 400 Mitarbeiter aus der alten Staatskanzlei in den
High-Tech-Riesen sei ein „Sprung ins neue Jahrtausend und symbolisiert
Nordrhein-Westfalen als Nummer eins“ unter den Bundesländern.

Die gläserne Regierungszentrale liegt in unmittelbarer Nachbarschaft
des Landesparlaments, eines Bürgerparks sowie des Kultur- und Medienviertels
am Düsseldorfer Rheinufer. Das Gebäude wurde als Öko-Haus
ausgezeichnet, weil die doppelte Glasfassade wie ein Klimapuffer in einem
überdimensionalen Wintergarten wirkt.

Die 1911 errichtete und für den heutigen Gebrauch drückend enge
Staatskanzlei soll als Ausgleich für die Mietkosten der neuen Regierungszentrale
im modernen Wahrzeichen Düsseldorfs verkauft werden. Als Alternative
ist auch der Verkauf des Finanzministeriums am Düsseldorfer Hofgarten
im Gespräch.

Gestern setzte Clement die Bildung seines neuen Kabinetts fort, dessen
Struktur wahrscheinlich in einer Woche vorgestellt werden wird. Nach Informationen
der WELT wollte der neue Regierungschef ursprünglich drei der zwölf
Ministerien auflösen und bis zu vier der jetzt noch amtierenden SPD-Landesminister
nicht mehr in seine Regierungsmannschaft berufen, um ein Zeichen für
Einsparungen zu setzen. Doch nach massiven Protesten in Partei und Fraktion
muß Clement offenbar jetzt seine Streichpläne verkleinern.
Aufgelöst wird allerdings das Ministerium für Stadtentwicklung,
Kultur und Sport, das Rau nach der Wahl 1995 bildete, weil Bauministerin
Ilse Brusis (SPD) dem Grünen Michael Vesper weichen mußte und
die SPD die erfahrene Gewerkschafterin nicht fallenlassen wollte. Brusis
gilt jetzt als Anwärterin für das um Forensik, Jugend und Familie
verkleinerte Sozialministerium, dessen jetziger Chef Axel Horstmann nach
glückloser Amtszeit entlassen wird.

Dagegen könnte das bisher von der politisch umstrittenen Anke Brunn
geführte Wissenschaftsministerium möglicherweise unter neuer
Führung erhalten bleiben. Neuer Wirtschafts- und Verkehrsminister
wird der enge Clement-Vertraute und Schröder-Berater Bodo Hombach.
Nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Focus“ soll auch
Bundesratsminister Manfred Dammeyer entlassen werden, der auch Präsident
des Rats der Regionen in Brüssel ist. Die Frauenministerin Ilse Ridder-Melcher
soll danach ebenfalls nicht neu berufen werden.

Erschienen in: Die Welt 29. Mai 1998
Von: Helmut Breuer